Adalbert Stifter in der Beatrixgasse

Neulich flanierte ich durch die Beatrixgasse. Auf Hausnummer 4a sah ich diese Tafel:

Adalbert Stifter, so heißt es auf der Tafel, lebte zweimal in diesem Haus, 1828 und 1836. Eine Beatrixgasse gab es damals allerdings nicht. Der untere, bis zur Ungargasse gehende Teil der heutigen Beatrixgasse, hieß Bockgasse, nach dem dort gelegenen Einkehrwirtshaus „Zum schwarzen Bock“. Der obere, ab der Ungargasse geführte Teil, wurde Rabengasse genannt.

Beatrixgasse heißt die Straße erst seit 1862. Innere Stadt und Vorstädte hatten damals viele gleiche Straßennamen. In Folge der Eingemeindung der Vorstädte mussten mehrfach vergebene Straßennamen neu benannt werden. Damals wurde auch die Gassennummerierung eingeführt. Davor hatten Häuser nur eine von der Stadt oder Vorstadt vergebene Konskriptionsnummer, jene in der heutigen Beatrixgasse folglich eine der Landstraßer Vorstadt.

Benannt ist die Beatrixgasse nach Maria Beatrix von Savoyen, Ehefrau von Erzherzog Franz von Österreich-Este, Herzog von Modena, aus einer Nebenlinie der Habsburger. In der Beatrixgasse 29 stand das Modenapalais, ein Gartenpalais, das die Herzogin Maria Beatrix ankaufte und klassizistisch umbauen lies. Nicht zu verwechseln ist das inzwischen demolierte Modenapalais mit dem Palais Modena, dem Stadtpalais der Herzöge von Modena in der Herrengasse, worin sich heute das Innenministerium befindet.

Stifter zog zu Michaeli 1828 in die heutige Beatrixgase 4b (damals Landstraße 310/Bockgasse). Zuvor wohnte er bis Georgi 1828 im „Palffyschen Haus“ in der Beatrixgasse 19 (damals Landstraße 408/Rabengasse). Den Sommer dazwischen verbrachte er wahrscheinlich in seiner oberösterreichischen Heimat. Von Oktober bis November 1829 zog er wieder in die Beatrixgasse 19 zurück.

Diese häufigen Wohnungswechsel waren damals in Wien nicht unüblich. Meist wurde zu Georgi (24. April) und Michaeli (29. September) die Wohnung gewechselt, als der halbjährige „Zins“ fällig war. Konnte die Miete nicht bezahlt werden, wurde oft nur ein paar Häuser weiter gezogen. In Nestroys Stück „Zu ebener Erde und erster Stock“ heißt der Hausbesitzer Georg Michael Zins. In Wien ist heute noch der Spruch zu hören „Du siehst aus wie der Zins!“.

Nachdem er einige Jahre im ersten Bezirk gewohnt hatte, übersiedelte Stifter im März 1837 erneut in die Beatrixgasse, diesmal auf Nr. 3b (damals Landstraße 351/Bockgasse). Im September 1837, kurz vor seiner Hochzeit mit Amalia Mohaupt, zog er wieder aus und weiter in die Beatrixgasse 18 (damals Landstraße 484/Rabengasse), wo das frisch vermählte Ehepaar ein weiteres Jahr bis September 1838 wohnte. Im März 1839 mietete Stifter auf Nummer 23 ein letztes Mal, für ein halbes Jahr, eine Wohnung in der heutigen Beatrixgasse (damals Landstraße 573/Rabengasse).

Stifter wohnte also in den Jahren 1828/1829 sowie von 1837 bis 1839 in der heutigen Beatrixgasse auf den Hausnummern 3b, 4b, 18, 19 und 23. 1836, wie die Tafel auf 4b behauptet, wohnte Stifter allerdings nicht dort.

Neben der Tafel auf Hausnummer 4b findet sich eine weitere Gedenktafel auf Hausnummer 18. Sie wurde 1936 von der Adalbert-Stifter-Gesellschaft angebracht, die im Dezember 2018 nach hundertjährigem Bestehen aufgelöst wurde. Diese liebe ich besonders:

Veröffentlicht wurde die Erzählung „Feldblumen“ erst 1841, ein Jahr nachdem sich Stifter mit der Veröffentlichung seiner ersten Erzählung „Der Condor“ in Wien einen Namen machte. Es war der späte Durchbruch eines Mannes, dessen Leben als abgebrochener Jusstudent und Hauslehrer zu mißlingen drohte. Die späteren Jahre in der Beatrixgasse müssen für Stifter Jahre des Zweifels und der Angst vor dem Scheitern gewesen sein, keine glücklichen Jahre also.

Stifter hat die heutige Beatrixgasse 1839 auch in einem Bild gemalt, das seit der Auflösung der Stifter-Gesellschaft dem Wien Museum gehört. Es zeigt auf der unteren linken Seite des Bildes hohe mehrstöckige Häuser, wie sie für eine Vorstadt, die die Landstraße damals noch war, nicht üblich waren. Sie künden bereits von der Zukunft der Beatrixgasse als herrschaftliche Straße, die heute von Immobilienmenschen zur erweiterten Innenstadt gezählt wird. Für arme Menschen, zu denen Stifter als Bewohner der Beatrixgasse zählte, gibt es heute dort keinen Platz mehr.

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1 Comment

  1. Engelbert 3. April 2021 at 10:09

    Sehr schön. Und jetzt noch einen Beitrag zu Ingeborg Bachmann in der Beatrixgasse.

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