Prag nach dem Lockdown und ein Denkmalsturz zum Nachdenken

Nach dem Ende des Lockdowns war ich Anfang Juli erstmals wieder in Prag. Den Urlaub hatte ich schon vor dem Lockdown gebucht und glücklicherweise wurde er gerade rechtzeitig zum Reiseantritt wieder aufgehoben. Diesmal waren Tamara und Neffe Luis mit dabei. Allen, die noch nie oder schon lange nicht mehr in Prag waren, sei vorweg gesagt: Eine bessere Zeit als jetzt wird dafür so schnell nicht mehr kommen.

Das heißt nicht, dass keine Touristen in Prag sind, man ist schließlich selbst einer. Doch ist ihre Anzahl angenehm reduziert. Es kommen vor allem Besucher aus den Nachbarländern. Prag ist zur Zeit keine Stadt der Touristen, sondern eine Stadt der Prager, in der auch ein paar Touristen sind.

Keine Schlange vor dem Eingang zum Veitsdom; auch innen alles sehr entspannt

Das zeigt sich bei den touristischen Hotspots in der Innenstadt um den Altstädter Ring und der Kleinseite mit dem Hradschin. (Abseits davon konnte man auch früher schon sein persönliches, stilleres Prag in der Stadt finden.) Während ich etwa noch vor eineinhalb Jahren mit Joseph um den halben Veitsdom Schlange stehen musste, um reinzukommen, gibt es dort jetzt kein Anstellen mehr. Und auch drinnen kann man sich bequem umschauen und so viel Zeit lassen, wie man will. Keine nachdrängenden Besucher, die einen zum Weitergehen auffordern.

Der Altstädter Ring (Staroměstské náměstí, wörtlich übersetzt: Altstädter Platz) bringt mich auch zur eigentlichen Geschichte dieses Beitrags. Wer dieser Tage zum ersten Mal nach Prag kommt und über den Altstädter Ring flaniert, dem wird wahrscheinlich kaum auffallen, dass die barocke Mariensäule dort nicht schon seit ein paar Jahrhunderten, sondern erst seit ein paar Tagen (seit 4. Juni) steht. Es handelt sich um einen Nachbau der alte Säule, die dort von 1650 bis 1918 stand. Zum Dank dafür, dass Prag 1648 nicht zur Gänze von der schwedischen Armee erobert wurde – sie eroberten die Kleinseite, aber kamen nicht über die Karlsbrücke – und als Siegeszeichen der Gegenreformation von Kaiser Ferdinand III gestiftet, wurde sie 1918 nach der Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik gestürzt.

Die neue Mariensäule am Altstädter Ring vor der Teynkirche

Als Zeichen der österreichischen Okkupation wurde die Säule indes von den Pragern nie gesehen und hat auch kaum jemanden gestört. Ihr Sturz dürfte mehr spontan aus einer Bierlaune heraus im nationalen Überschwang geschehen sein und es wird gesagt, den Initiator, der Prager Anarchist František Sauer, hat es später auch sehr gereut (er bekam im Alter wohl Angst vor dem Höllenfeuer). Trotzdem hat es in Prag und der weitgehend atheistischen Tschechischen Republik, wo nur rd. 10% ein religiöses Bekenntnis haben, alle gewundert, als der Stadtrat nach einer noch gegenteiligen Entscheidung 2017 im Jänner 2020 der Petition zur Wiedererrichtung zugestimmt hat.

Als jemand, der den Altstädter Ring mit und ohne Mariensäule kennt, kann ich nur sagen: Als sie nicht da war (und nicht wusste, dass sie mal da war), hat sie nicht wirklich gefehlt. Aber jetzt, wo sie wieder da ist, kann man sich den Platz kaum mehr ohne sie vorstellen. Ich bin jedenfalls ein Fan der Mariánský Sloup.

Und vielleicht liegt in der Geschichte der Prager Mariensäule ja auch etwas zum Nachdenken für unsere heutigen Denkmalstürmer. Manche Denkmäler haben ihre Zeit und gehen mit ihnen. Andere aber verdienen vielleicht ein kurzes Innehalten und etwas Milde vor all zu großer Selbstgerechtigkeit. Denn so wie Saint-Simon einst in seinen Memoiren schrieb: „Schließlich aber besänftigte sich alles, ging alles vorüber und geriet alles in Vergessenheit. Das ist nun einmal der Lauf der Welt.“

(Visited 53 times, 1 visits today)

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert