Karl Kraus

Vor kurzem habe ich die neue Karl Kraus Biografie von Jens Malte Fischer ausgelesen. Hat 1000 Seiten und liest sich nicht immer flüssig, aber für seinen Fleiß muss man sich bekanntlich nicht schämen.

Karl Kraus, so erfuhr ich aus der Biographie, wohnte von 1912 bis zu seinem Tod 1936 in einer Wohnung in der Lothringer Straße 6. Also fuhr ich hin und schaute mir das Haus an. Das herrschaftliche Haus steht an der Ecke zum Schwarzenberg-Platz und stammt aus dem Jahr 1904. Bei Kraus‘ Einzug also fast ein Neubau.

Karl Kraus wohnte im Hochparterre. Die Wohnung hatte einen großen Wohn- und Arbeitsraum mit zwei Fenstern nach Norden. Ein kleines Schlafzimmer ging in einen Innenhof Richtung Süden. Dazu gab es noch ein Bad und einen Vorraum als Diele. Die Küche war im Souterrain und sowohl über das Stiegenhaus als auch von der Wohnung aus über eine kleine Wendeltreppe im Bad zu erreichen. Da Kraus nicht zu Hause aß, benutzte er die Küche als Expedit. Durch die Ausrichtung nach Norden dürfte die Wohnung eher dunkel gewesen sein, was Kraus aber kaum gestört haben wird, da er in den Nachtstunden arbeitete und am Vormittag schlief.

Die zwei Fenster seines Wohn- und Arbeitsraums im Hochparterre links vom Eingang

Die Wohnung sieht heute angeblich nicht mehr so aus wie damals und kann auch nicht besichtigt werden. Sein Freund Karl Jaray hat aber kurz nach Kraus‘ Tod Fotos von der Wohnung machen lassen, die einen Eindruck geben. Die Bibliothek im Wohn- und Arbeitsraum ist für einen solchen Schriftsteller auffallend bescheiden. Karl Kraus war kein Bibliophiler und las nicht zum Vergnügen. Bücher, die er nur kurzfristig für die tägliche Arbeit benötigte, leihte er sich meist aus.

Der äußere Hof des Wohnhauses war zur Zeit von Karl Kraus noch durch ein hohes Eisengitter von der Straße abgetrennt

Am Haus ist heute eine Gedenktafel angebracht. Keine offizielle, sondern „gewidmet von seinen Freunden“. Sie befindet sich links der beiden Fenster seines Wohn- und Arbeitsraums. Ein offizielle Gedenktafel der Stadt Wien, die immerhin das Karl Kraus Archiv beherbergt, gibt es nicht.

Gedenktafel von seinen Freunden

Von der Wohnung an der Grenze des vierten zum ersten Wiener Gemeindebezirks hatte Kraus nur einen Steinwurf zum Hotel Imperial, wo er oft Essen ging sowie zum Konzerthaus, wo er viele seiner genau 700 Vorlesungen hielt.

So wie Dickens war Kraus ein guter Vorleser mit vielen Zuhörern. Er las nicht nur aus eigenen Werken, sondern auch ganze Bühenstücke von Shakespeare, Nestroy, den er wiederentdeckte, und Offenbach. Die Vorlesungen aus seinen eigenen Werken gingen aber wesentlich besser. Die Einnahmen aus den Vorlesungen waren höher als jene der Fackel, die am Ende bereits einen Verlust machte, doch spendete er die Einnahmen aus den Vorlesungen stets für wohltätige Zwecke. Er lebte von den Dividenden der Papiersackerlfabrik seiner Familie.

Von seinen Vorlesungen gibt es mehrere Schallplattenaufnahmen, aber nur eine Filmaufnahme aus dem Jahr 1934. Die gesamte von 1899 bis 1936 erschienene Fackel wurde von der Akademie der Wissenschaften digitalisiert.

Ein bekannter Aphorismus von Karl Kraus lautet: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“

Das mit dem Haustorschlüssel war damals in Wien nicht so einfach. Den hatte zur Zeit der Monarchie nur der Hausbesorger. Wer zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr früh nach Hause kam, musste dem Hausbesorger zum Aufmachen läuten. Dafür erwartete er das sogenannte „Sperrsechserl“, also sechs Kreuzer. Nach der Währungsumstellung von Gulden auf Kronen im Jahr 1900 waren es zwanzig Heller.

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2 Comments

  1. Engelbert Bramerdorfer 27. August 2020 at 14:25

    Jetzt bietet sich natürlich eine Reise nach Jicin an.

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